Erst heißt es, man möge von dem ersten Semester an kontinuierlich lernen und bis zum Staatsexamen möglichst viele Fälle lösen. Und plötzlich raten wir euch dazu, alles nicht so verbissen zu sehen und nebenbei ein Leben fernab von Jura zu führen. Diese gedankliche Wendung ist jedoch kein Ausdruck einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, sondern beide Aussagen gehören zusammen.
In diesem letzten und aus unserer Sicht sehr wichtigen Teil begeben wir uns auf eine deutlich größere Flughöhe: von dort aus hat man einen besseren Blick auf das Gesamtbild. Und damit das Ganze auch einen didaktischen Wert hat, versuchen wir durch Auslegung und im Gutachtenstil uns der Behauptung Martin Luthers anzunähern.
1.
In a nutshell: Was sollte ich tun?
a. Auf dem Weg zu zwei erfolgreichen Staatsexamina ist Ausdauer gefragt!
Wir wissen selbst, dass das Jurastudium durch andauernden Wettbewerb, extreme
Drucksituationen und
häufig auch viel Ehrgeiz der Beteiligten geprägt wird. Das führt leider oft dazu, dass man sich
versteift
und verausgabt, was für ein gutes Examensergebnis (und noch viel mehr) kontraproduktiv ist.
b. Werdet mehr als nur das, was ein Prädikatsexamen von euch verlangt!
Die Prüfungen in den Übungen und Examina verlangen euch viel ab – aber sie dürfen nicht
alles in
Anspruch nehmen. Es wäre ziemlich bedauerlich, wenn ihr eure Zeit nur damit verbringt. Dafür ist
nicht nur das Studium viel zu schade, sondern es könnte sogar gefährlich sein.
2. Warum?
a. Entspannt euch, macht Pausen & genießt das Leben!
Was diesen Ratschlag betrifft, sprechen unsere Interviews für sich. Es ist absolut nicht
so, dass
diejenigen die besten Examina abgestaubt haben, die während der Examensvorbereitung mit der Bib
verheiratet
waren. Erfolg kommt vielmehr dadurch zustande, dass ihr schon ab den ersten Semestern
kontinuierlich
und mit einem sinnvollen Plan am Ball bleibt. Wir haben versucht, euch den sinnvollen Plan mit
unserer
Knowhow-Serie zu liefern. Für die Kontinuität ist jeder selbst verantwortlich.
Schaut nochmal rein, wozu
Anna,
Max oder
Iris euch raten.
b. Denn ein Jurist, der nicht mehr denn ein Jurist ist, ist ein arm Ding.
Jetzt kommt ein wenig Pseudo-Methodik. An einigen Stellen unserer Knowhow-Serie ist das,
was wir
während unserer Ausbildung machen, etwas unter die Räder gekommen. Hierbei denken wir etwa an
Definitionen, die nichts für das Verständnis bringen oder an das
Märchen vom Gutachtenstil in der Klausur. Wo der Gutachtenstil und
unsere juristische Ausbildung
allerdings tatsächlich hilft, ist die Strukturierung und Disziplinierung unserer
Gedankenführung.
Warum ist dieses Luther-Zitat das Letzte, was wir euch in dieser Serie auf den Weg geben
wollen?
Sachverhalt: J studiert Rechtswissenschaften. Er/Sie möchte unbedingt das
Doppel-Prädikat
bekommen und widmet die gesamte Studien- und Referendariatszeit der juristischen
Fallbearbeitung
und schreibt fleißig Übungsklausuren. Das Ganze tut J allein in der Bib – Freunde und
Kommilitonen
sind ihm/ihr egal. Andere Dinge kommen J nicht in den Sinn. Nach 7 entbehrungsreichen Jahren
erreicht J dieses Ziel.
Dann legen wir mal gutachtenmäßig los:
(1) J könnte ein Jurist sein, der nicht mehr als ein Jurist ist und damit ein „arm Ding“
sein.
(a) Zunächst muss J Jurist sein. Juristen sind jedenfalls Menschen, die ein
rechtswissenschaftliches
Studium und das Rechtsreferendariat erfolgreich mit Bestehen der Examensprüfungen absolviert
haben.
J hat Jura studiert und das Referendariat absolviert und beide Examina bestanden. J ist ein
Jurist.
Anmerkung: Das „jedenfalls“ in der Definition ist ein Trick, mit dem man mit Blick
auf einen
konkreten Fall eine nicht vollständige Definition in die Klausur hineinmogeln kann. Die
Definition
wird dabei auf den zu subsumierenden Sachverhalt zugeschnitten (hier: J als Volljurist mit 2
bestandenen Examina). Problematische Randbereiche werden dabei ausgeblendet: Ist man
vielleicht
schon Jurist, wenn man Jura studiert? Oder wenn man die Zwischenprüfung bestanden hat? Oder
erst
wenn man das erste Staatsexamen abgelegt hat? Oder ist auch jemand mit LL.B. oder LL.M. ein
Jurist?
(b) Weiter muss J nicht mehr als ein Jurist sein. Dies ist der Fall, wenn J während des
Studiums
und Referendariats nur Handlungen ausführte, die zum Bestehen der Examina erforderlich sind. J
hat
sich während seiner Ausbildungszeit nur auf das Erreichen eines Doppel-Prädikats konzentriert
und
keine anderen Dinge getan. Damit ist J nicht mehr als ein Jurist.
(c) Schließlich muss J als Nur-Jurist ein „arm Ding“ sein.
Anmerkung: Diese Ausführungen folgen natürlich nicht mehr der Logik des
Gutachtenstils. Denn
als Rechtsnorm betrachtet, ist das „arm Ding“-Sein bereits die Rechtsfolge aus den
Tatbestandsvoraussetzungen,
dass wir es hier mit einem Juristen zu tun haben, der nicht mehr als ein Jurist ist. An
dieser
Stelle begehen wir aber diesen logischen Bruch, um zu erläutern, weshalb diese Aussage
zutrifft.
Ein „arm Ding“ ist eine Person, die aufgrund ihrer Fähigkeiten für die Gesellschaft
nutzlos ist und
damit als Mensch keine soziale Achtung erfährt und auch nicht erfahren wird.
Anmerkung: Diese Definition haben wir natürlich erfunden – genauso, wie viele „echte“
Definitionen
erfunden sind. D.h. irgendwer hat vor Zeiten einmal einen plausiblen Definitionsvorschlag
gemacht,
mit dem alle anderen einverstanden waren und seitdem als Definition anerkennen. Wir haben
unsere
Definition so gewählt, damit wir die Punkte adressieren können, die wir als wichtig
ansehen.
(aa) Die Fähigkeiten von J sind für die Gesellschaft nutzlos, wenn sie für die Mitmenschen
keinen
wesentlichen Mehrwert liefern und deshalb auch nicht nachgefragt werden.
Anmerkung: Wieder eine erfundene Definition, allerdings in Kombination mit der
wort-effizienten
Obersatz-Struktur: „[Obersatz-Komponente], wenn [Definition]“.
Die Fähigkeiten, die sich J während den Staatsexamina angeeignet hat, waren im
Wesentlichen das Auswendiglernen
von Definitionen und Streitständen und die Zuordnung dieses Wissens zu Sachverhalten. Ferner hat
J gelernt, möglichst schnell mit Stiften (Kugelschreiber, Filzstifte und auch Füller) auf Papier
zu schreiben. J kennt sich auch in der Bib gut aus und weiß, wo welche Bücher stehen und schafft
es, relativ zügig die richtige Seite aufzuschlagen, um die dortigen Inhalte auf Karteikarten zu
schreiben.
Die Karteikarten von J enthalten dabei häufig Inhalte, die aus unterschiedlichen Büchern
entnommen
wurden.
Das Offensichtliche vorab: Im beruflichen Kontext möchte kein Mensch lesen, was wir von
Hand auf
Papier gekritzelt haben. Und juristische Inhalte eignen sich für romantische Nachrichten an die
Liebsten
auch nur bedingt. So sehr wir die Ästhetik einer schönen Handschrift auch schätzen: Heute
schreiben
wir auf Tastaturen und es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Schreiben von Hand beruflich
wieder
relevant wird. Vielmehr ist man heute nur noch bedingt berufsbefähigt, wenn man nicht in einer
sinnvollen
Geschwindigkeit die Tastatur bedienen kann (wenngleich die Entwicklung klar in Richtung
Sprache-zu-Text-Eingabe
geht).
Warum lernen wir Definitionen und Streitstände auswendig, wenn wir sie jederzeit und
überall digital
nachschlagen können (bzw. könnten – denn es fehlt momentan noch an einer verlässlichen und
leicht
zugänglichen Quelle)? Natürlich spart es Zeit, wenn man ohne nachzuschlagen juristische Konzepte
exakt wiedergeben kann. Aber dann müssen sie auch exakt so stimmen. Wer schafft das? Nicht
viele.
Und dann müssen wir doch wieder nachschlagen.
Mittlerweile ist es auch nicht mehr besonders nützlich, sich mit schlafwandlerischer
Sicherheit zwischen
Bücherregalen hin- und herbewegen zu können. Bereits jetzt sind fast alle wesentlichen Inhalte
digitalisiert
verfügbar (Tendenz steigend) und bei vielen Arbeitgebern ist die physische Bibliothek nur noch
Dekoration.
Und die Suchfunktion in einem noch so schlechten Online-Produkt ist fast immer noch um Welten
besser
als das manuelle Suchen zwischen Papierseiten. Wie man effizient digital juristisch
recherchiert,
muss aber gelernt sein. Das ist aber keine Fähigkeit, die man für gute Examensnoten erworben
haben
muss.
Auch das Zusammenfassen von unterschiedlichen Argumenten auf einer Karteikarte ist
hinsichtlich des
Nutzens ineffizient. Es ist ziemlich klar, dass das Auswählen und Aufschlagen unterschiedlicher
Bücher
an sich uns nicht smarter macht. Das Lesen unterschiedlicher Ansichten zu einem Problemfeld in
unterschiedlichen
Büchern ist nicht verkehrt, kostet aber viel zu viel Zeit. Wir können das unmöglich für jedes
examensrelevante
Problem einzeln betreiben. D.h. allein das Zusammentragen der Argumente bietet keinen
erheblichen
Vorteil zu einer Lernvorlage, die bereits alle wesentlichen Argumente mit guter Erklärung
enthält.
Das liegt insbesondere daran, weil juristische Argumente selten besonders tiefgründig sind und
oft
schon nach dem ersten Lesen verständlich sind. Schließlich bewegen sie sich nur in den
Kategorien
Wortlaut, Systematik, Historie, Telos und vielleicht noch grundgesetz- oder europarechtskonform.
Selbst die Fälle, die uns in Übungsklausuren und im Examen präsentiert werden, erscheinen
eigentümlich
altmodisch. Die juristische Ausbildung vermittelt den Eindruck, dass die wesentlichen Probleme
unserer
technologisierten und internationalisierten Gesellschaft sich um Weinversteigerungen,
Supermarktkassen,
Schaufenster, Schwarzbauten, unerkannt Geisteskranke etc. drehen. Dass dies jedoch längst
überholt
ist, sollte für jeden klar sein. Dabei sind die geltenden Gesetze natürlich sehr wohl auf die
heutige
Welt anwendbar. Allerdings begnügt man sich im Studium eben mit Situationen, die quasi
bedeutungslos
geworden sind. Bei den wirklich relevanten und neuen Sachverhalten müsste man sich erstmal
einarbeiten,
was für alle mehr Aufwand bedeutet. Aber gerade an den Universitäten sollten wir das leisten
können,
weil auch keine Gefahren drohen, wenn wir einmal ein Fehlurteil treffen sollten. Stattdessen
ducken
sich viel zu viele an den Universitäten weg und lauern darauf, dass Gerichte eine Entscheidung
treffen
müssen, um sich daraufhin methodisch korrekt darüber zu amüsieren, wie schlecht doch der ein
oder
andere Einzelaspekt der Entscheidung ausgefallen ist.
Was wird aber in den Examensklausuren nicht geprüft: Kann ich mich verbal verständlich und
gleichzeitig
präzise ausdrücken? Kann ich kompliziertere juristische Konzepte Laien verständlich erklären?
Kann
ich Lebenssituationen juristisch klug und mit Weitsicht (vertraglich) gestalten? Wie verhandle
ich
effektiv? Kann ich ordentlich Englisch?
Kurzum: Die Examina von J prüfen zu einem ganz erheblichen Teil Fähigkeiten ab, die in der
heutigen
Welt nicht nachgefragt werden, weil sie keinen Mehrwert liefern.
Damit ist J für die Gesellschaft nutzlos.
(bb) Die Nutzlosigkeit von J führt auch dazu, dass er/sie keine soziale Achtung erfährt
und weil
die Uhren nur eine Laufrichtung kennen, wird J auch in Zukunft keine Achtung erfahren.
Treffend:
“In a world of change, the learners shall inherit the earth, while the learned shall find
themselves
perfectly suited for a world that no longer exists.” (Eric Hoffer)
Die Situation unserer sehr langen juristischen Ausbildung ist insoweit besonders
bedauernswert, weil
wir zu einem erheblichen Teil nicht einmal Inhalte und Fähigkeiten lernen, die für die heutige
Welt
relevant sind und von der Zukunft müssen wir gar nicht erst sprechen.
Letztlich ist es ziemlich simpel: Wer keine Ahnung davon hat, wie die Welt funktioniert
(man kennt
den Sachverhalt nicht), kann auch keine Rechtsvorschriften anwenden (die Subsumtion scheitert).
Die
Welt und damit auch die Sachverhalte werden vielfältiger und komplexer. Was man früher noch mit
einem
Blick verstanden hat, muss heute gründlicher erforscht werden. Es findet damit eine Verlagerung
der
Tätigkeit in Richtung Sachverhaltsermittlung statt. Diesen Schritt müssen wir als Juristen aber
gehen.
Ansonsten droht Bedeutungslosigkeit.
(cc) Mithin ist J ein „arm Ding“.
Anmerkung: Das Ganze ist natürlich sehr zugespitzt ausgemalt und argumentiert. Und
auch der
Sachverhalt ist ein nur sehr selten auftretender Extremfall. Allerdings sind die
aufgezeigten
Gefahren real.
(2) Im Ergebnis ist J ein Jurist, der nicht mehr als ein Jurist ist und damit auch ein
„arm Ding“.
Anmerkung: Eine saubere Gedankenführung kommt ohne Überschriften aus. Überschriften
kosten
an sich nur unnötig Zeit, wenn sie nicht mehr zum Ausdruck bringen, als ein sauberer
Obersatz
sagt. Überschriften sind dann nützlich, wenn sie ganze Obersätze ersetzen. D.h. ihr schreibt
nur „I. Tatbestand“, „1. Objektiver Tatbestand“ und fangt direkt mit der Prüfung des ersten
objektiven
Tatbestandsmerkmals unter „a.“ an, statt – im unglücklichsten Extremfall – nach den
Überschriften
„Der Tatbestand müsste vorliegen.“ und „Der objektive Tatbestand müsste erfüllt sein.“ zu
schreiben.
Das will niemand lesen, weil allein die Überschrift bereits offensichtlich alles
aussagt.
3. Wie setze ich diesen Ratschlag um?
Woher sollen wir wissen, was ihr tun sollt – wir kennen euch schließlich nicht 😉.
Wir wissen aber, was wir tun werden, damit ihr die besten Chancen habt, mehr als ein
Nur-Jurist zu
werden.
An der Prüfungs- und Examensrealität können wir (vorerst) nichts ändern. Wir wissen aber,
dass es
einen großen zeitlichen und auch notenmäßigen Unterschied macht, ob man auf die richtige Weise
und
mit dem richtigen Material Jura studiert.
Was die richtige Weise betrifft, haben wir euch mit dieser Knowhow-Serie die wichtigsten
strategischen
Ratschläge mit auf den Weg gegeben. Und an dem richtigen Material arbeiten wir! Wir haben uns
kein
geringeres Ziel gesetzt, als für die juristischen Kernbereiche insbesondere mit Blick auf
Klausuren
und das Staatsexamen einen einzigen juristischen Ausbildungsstandard zu schaffen. Dass dieses
Ziel
nicht niedrig hängt, ist uns klar, aber wir setzen einen Fuß vor den anderen, um Schritt für
Schritt
die Inhalte an euch auszuliefern. Bei LEX superior sind nur Profis am Werk (siehe unsere
Interviews).
Wir können natürlich niemandem grandiose zweistellige Ergebnisse garantieren. Aber wir glauben
zumindest
verstanden zu haben, wie man tatsächlich gute Chancen hat, kontinuierlich ordentliche bis gute
Ergebnisse
in Jura zu bekommen.
Was wir für euch zusammentragen, soll es euch ermöglichen, viel zeitsparender und
gleichzeitig deutlich
besser Jura zu lernen und zu verstehen. Damit bekommt ihr die Zeit für die Dinge, die euch
wichtig
sind!
Dabei bleibt es natürlich nicht. Wir meinen es auch Ernst damit, Jura insgesamt
modernisieren zu
wollen. Dabei setzen wir natürlich dort an, wo wir heute stehen. Von diesem Ausgangspunkt aus
werden
wir experimentieren und die ein oder andere Sache tun, die vielleicht etwas gewagt erscheint –
we
practice what we preach. Neben der inhaltlichen Optimierung geht es uns auch um
Prozessoptimierung.
Wir freuen uns dabei über jeden, der Lust hat, uns zu begleiten!
4. Was nun?
Die Knowhow-Serie ist zu Ende. Die strategischen Grundlagen sind gelegt. Aktuell warten
über 400
klausurfertig formulierte Strafrechtsdefinitionen mit Zusatzinformationen darauf, in unsere App
integriert
zu werden. Es folgen Definitionen für das öffentliche Recht und Zivilrecht und ebenso
klausurfertig
formuliert alle klausurrelevanten Streitstände mit allen Kernargumenten für die drei
Rechtsgebiete,
Beiträge mit systematischem Wissen und schließlich auch ein großer Fundus an Kasuistik. Das
Ganze
wird natürlich (leider) etwas Zeit in Anspruch nehmen, aber wir arbeiten mit Hochdruck daran.
In der Zwischenzeit freuen wir uns, wenn ihr das ausprobiert, was wir euch strategisch
empfohlen
haben. Gebt uns gerne Feedback, welche Erfahrungen ihr damit gemacht habt. Und wenn ihr unsere
Ratschläge
für sinnvoll haltet: Erzählt sie weiter!
Autor: Tianyu Yuan